Ein Projekt, das sich über ein halbes Jahr erstreckt und der Künstlerin die Freiheit, das Vertrauen und die Mittel gewährt, um eigene Ideen umzusetzen, stellt im Alltag einer freischaffenden Musikerin sicherlich eine besondere Ausnahme dar. Drei intensive Projektwochen verbrachte ich im Rahmen des Transient Impulsfestivals 2021 in der Nordeifel und durfte Teil eines wundervollen Kreativteams sein, das sich nicht nur durch seine flexible und offene Arbeitsweise, sondern auch durch seine menschlichen Qualitäten auszeichnete. Es ist nicht selbstverständlich, dass zwischen künstlerischer Leitung, Techniker*innen und Musiker*innen ein solch kollegiales Klima herrscht, in dem sich alle auf Augenhöhe begegnen und unabhängig von Alter, Ausbildung oder bisherigen Erfolgen wertschätzen – für mich eine ideale Atmosphäre, um zu experimentieren und ein eigenes Projekt heranreifen zu lassen.
Ausschlaggebend für die Wahl meines eigenen künstlerischen Projektes war die Frage, wie ich trotz Berücksichtigung der Corona-Maßnahmen eine Nähe zwischen mir und meinen Zuhörer*innen in den jeweiligen Eifelorten erzeugen kann, die es erlaubt, zeitgenössische Werke nachhaltig zu vermitteln. Ich habe in der Vergangenheit oft miterlebt, dass viele Musikliebhaber*innen noch immer vor neuer Musik zurückschrecken, sie gleichsetzen mit Missklang und Atonalität und als unverständlich abtun. Auch in der Eifel bin ich auf solche Vorurteile gestoßen, doch das Interesse und die Neugier an meinem Hauskonzert-Angebot überwogen und so fanden sich genug aufgeschlossene Personen, die sich mit mir auf ein musikalisches Experiment einließen und mich zu sich nach Hause einluden.
Meiner Erfahrung nach schafft die vertraute, emotional besetzte Umgebung eines Hauskonzerts eine intime Konzertatmosphäre, in welcher sich Künstlerin und Hörer*in auf gleicher Ebene begegnen und ein ehrlicher Austausch möglich wird. Nie war ein Werk „zu zeitgenössisch“, oftmals brauchte es nur ein paar Worte zu Werk, Hintergrund und eigener Motivation, um das Publikum an ihren persönlichen Standpunkten abzuholen und mit auf eine musikalische Reise zu nehmen. Durch diesen persönlichen Austausch, der sich immer sehr leicht und natürlich gestaltete, wurden die individuellen Konzerte nicht nur für die Hörer*innen, sondern auch für mich als Musikerin zu einem besonderen Erlebnis.
Durch meine Projekt lernte ich viele Personen kennen, die im Dorfgeschehen eine wichtige Rolle spielen: Die Bibliothekarin, die ortsansäßige Cellolehrerin, die Grundschullehrerin, die Leiterin der Schauspielschule und viele mehr. In kürzester Zeit wusste ich über das Dorf und das Dorf über mich Bescheid. Zu meinen schönsten Momente während des Festivals zählen jene, an denen ich durch das Dorf gelaufen bin und von Menschen, für die ich gespielt hatte, gegrüßt wurde. Da ich selbst am Land aufgewachsen bin, weiß ich, wie lange es dauern kann, bis man in eine Dorfgemeinschaft integriert ist und nicht mehr als „zuagroast“ (=tirolerisch für zugezogen) gilt. Durch meine Musik konnte ich diesen Prozess, der oft viele Jahre dauern kann, stark beschleunigen und mich schon nach einer Woche heimisch fühlen. Die Struktur des Transient Impulsfestivals ermöglichte es mir, meine Kontakte über die verschiedenen Projektwochen mitzutragen und bekannte Gesichter an neuen Orten wiederzutreffen. Mit einigen Personen aus der Eifel bin ich auch nach Ende des Festivals noch in regem Kontakt und verschicke Einladungen, wenn ich in der Nähe Konzerte gebe.
Heute – ein Jahr, viele Hauskonzerte und eine Bachelorarbeit über zeitgemäßes Konzertdesign später – nenne ich mein künstlerisches Projekt im Rahmen des Transient Impulsfestivals Unter-Uns Begegnungen und versuche, diesen Impuls weiterzutragen und weiterzuentwickeln, um eine ähnliche Nähe und den Kontakt zu meinem Publikum auch in größeren Konzertsituationen herzustellen. Mir scheint, „stillsitzen und andächtig zuhören“ als Rezeptionsverhalten im klassischen Konzertformat entspricht nicht den Wünschen und Erwartungen des Publikums im 21. Jahrhundert. Darauf zu reagieren, sehe ich nicht nur also Sache von Veranstalter*innen, Organisator*innen, künstlerischen Leiter*innen etc., sondern als Verantwortung aller Musikmachenden. Deshalb empfinde ich es als meine Aufgabe, weiterhin von meinem Publikum zu lernen und im kommunikativen Miteinander eine diverse und zeitgemäße Konzertlandschaft zu gestalten.