Vor knapp 10 Jahren stand ich vor meiner eigenen Schulklasse und referierte über John Cage und sein berühmtes Stück 4’33“. Heute stehe ich im Rahmen des TRANSIENT Impulsfestivals wieder vor einer Schulklasse und spreche über die Bedeutung dieses Werks, dieses Mal jedoch als Leiterin eines Workshops. In der Vorbereitung und Recherche dafür habe ich viele verschiedene Interpretationen dieser so kontrovers diskutierten Komposition angehört. Dabei hat sich wieder einmal herausgestellt, welche Aktualität und Wirkung es noch immer besitzt, obwohl seine Entstehung schon fast 70 Jahre zurück liegt.
Diese Aufnahme ist am 3.11.2020 entstanden, also kurz vor der pandemiebedingten Schließung der Berliner Philharmonie. Eine sehr gelungene und berührende Version von 4’33“, wie ich finde. Ohne großen Schnickschnack, keine unnötige Performance, eine Reduzierung auf das Wesentliche: allein durch seine erhobenen und geöffneten Hände setzt der Dirigent den zeitlichen Rahmen, in dem die Komposition stattfindet.
Allerdings fungiert das Werk in diesem Kontext als eine Art „stiller Protest“. Es wird signalisiert: Wenn die Musiker*innen nicht mehr spielen, hört auch die Musik auf. Dann gibt es „nur“ mehr Stille bzw. Geräusche aus dem Zuschauerraum zu hören. Dadurch entsteht eine klare Differenzierung zwischen den Musikstücken, die davor gespielt werden und der Nicht-Musik von John Cage.
Auch in folgender Interpretation, die am selben Tag in der Elbphilharmonie entstand, wird deutlich: Musik ist es nicht, die erklingt, wenn wir 4’33“ lauschen.
„Auch wenn keine Musik zu hören ist: etwas passiert immer. Diese Idee legte John Cage 1952 seinem Stück »4’33“« zugrunde, das tatsächlich nur aus Pausen besteht. Es lenkt die Wahrnehmung auf vermeintliche Hintergrundgeräusche: das Knacken des Parketts, das Atmen des Nachbarn, das Knistern der Atmosphäre, auf Zwischentöne aller Art. Damit ist »4’33“« der perfekte (Nicht-)Soundtrack zum neuerlichen Lockdown, der die Kulturszene zwar temporär stummschaltet, aber nicht ihrer Kreativität beraubt.“
4’33“ ist also der perfekte (Nicht-)Soundtrack für einen Lockdown. Seit der Entstehung dieses Werks 1952 und heute, sind viel Zeit und viele Debatten über die Bedeutung dieses Stückes verstrichen. Doch wie man sieht, ist die Frage, ob Stille (die laut Cage in ihrer absoluten Form nicht existiert) Musik sein kann oder nicht, noch immer nicht geklärt.
Mich interessieren vielmehr die Fragen, die ein Professor von mir einmal gestellt hat:
Wenn Stille Musik ist und musikalisches Material sein kann, was kann danach noch kommen? Lässt sich das noch steigern oder wird in letzter Konsequenz auch die Funktion eines*r Komponisten*in obsolet?